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Meinung China

Hongkong – wie Ost-Berlin im Kalten Krieg

Massenrücktritt von 15 Abgeordneten im Hongkonger Parlament

Nach einem Beschluss aus Peking müssen vier prodemokratische Abgeordnete Hongkongs Parlament verlassen. Ihre Kollegen reagieren drastisch, mit Konsequenzen für die gesamte Demokratiebewegung.

Quelle: WELT / Nicole Fuchs-Wiecha

Autoplay
In Hongkong werden Journalisten bedroht, Lehrer entlassen, Aktivisten wie Joshua Wong inhaftiert. China nutzt aus, dass die Welt mit Corona beschäftigt ist und scheint sich nicht mal mehr zu bemühen, den Anschein von Demokratie zu wahren. Die EU muss sofort handeln.

In Hongkong ist ein hartes Durchgreifen im Gange, das alles zerschlägt, was die Stadt ausgemacht und überhaupt erst hat florieren lassen. Vor fünf Monaten wurde das repressive nationale Sicherheitsgesetz erlassen, und es wird schrittweise durchgesetzt. In diesem Monat hat die Regierung vier prodemokratische Abgeordnete aus dem provisorischen Legislativrat ausgeschlossen, nachdem Peking ihr zuvor die Befugnis erteilt hatte, alle unpatriotischen Mitglieder zu entfernen.

Damit hat China de facto den 1997 völkerrechtlich garantierten „Ein Land, zwei Systeme“-Grundsatz abgeschafft und scheint sich nicht mehr darum zu bemühen, auch nur den Anschein von Demokratie zu wahren.

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Seit dem Ausschluss der Parlamentarier lässt sich eine deutliche Zunahme des chinesischen Einflusses feststellen. Lehrer werden wegen Aussagen entlassen, die Peking missfallen; Journalisten werden wegen investigativer Berichte verhaftet. Richter werden wegen „zu großer Nachsicht“ mit Teilnehmern der Proteste im vergangenen Jahr von Peking-freundlichen Zeitungen attackiert. Und Aktivisten wie Joshua Wong werden in Prozesse verwickelt, an deren Ende ihnen möglicherweise monate- oder sogar jahrelange Haft droht.

Ein Hongkonger Gericht ordnete am Montag laut eines Sprechers von Wong an, dass die Aktivisten bis zum Ende des laufenden Prozesses am kommenden Mittwoch (2. Dezember) nicht mehr auf freien Fuß dürfen. Zum Auftakt der Verhandlung am Montag hatte sich Wong schuldig bekannt, einen unerlaubten Protest organisiert zu haben. Dafür könnten ihm und seinen Mitstreitern bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen.

„Ich kann mir kaum ausmalen, wie weit Peking gehen wird“

Quelle: WELT

In dieser Woche behauptete das Peking-nahe Lager, das „Hongkonger Bündnis zur Unterstützung patriotisch-demokratischer Bewegungen in China“ – Organisatoren der jährlichen Mahnwache zum Gedenken an das Tiananmen-Massaker von 1989 – hätte gegen Gesetze verstoßen.

Der Gruppe wird vorgeworfen, Hass gegen das sozialistische sowie das nationale politische System zu schüren, die Staatsmacht zu untergraben und in aufrührerischer Absicht für die Neubewertung des Massakers, das Ende der Einparteiendiktatur und den Aufbau eines demokratischen Chinas einzutreten. Obwohl die Gruppe für ihr friedliches Auftreten bei Protesten bekannt ist, wurde sie bezichtigt, in der Stadt zu randalieren und die nationale Sicherheit sowie öffentliche Ordnung zu gefährden; infolgedessen wurde Rufe zum Verbot ihrer Aktivitäten laut.

All diese Vorfälle ereigneten sich, während viele Länder noch mit einer weiteren Corona-Welle beschäftigt sind. China nutzt die Ablenkung, um das multilaterale System neu zu regeln. Deshalb ist es für Demokratien von entscheidender Bedeutung, Peking zur Verantwortung zu ziehen – dafür, dass die Vereinbarungen zur Bewahrung von Freiheit und Menschenrechten in Hongkong seit der Übergabe 1997 mit Füßen getreten werden.

Etliche Staaten haben zu Recht Rettungsprogramme für Hongkonger geschaffen. Die EU hat die moralische Verantwortung, noch einen Schritt weiterzugehen. Großbritannien und Kanada haben den Bürgern Hongkongs den Weg zur Staatsbürgerschaft geebnet und humanitäre Hilfe sowie eine Zufluchtsmöglichkeit angeboten, wenn sie die Stadt aus Sicherheitsgründen verlassen müssen.

Außerdem sind ein Magnitski-Gesetz oder ähnliche individuelle Sanktionsregelungen sowohl auf EU- als auch auf deutscher Ebene wünschenswert. Die EU muss diejenigen, die Verbrechen gegen Freiheit und Demokratie begehen, daran hindern, das System der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu missbrauchen oder davon zu profitieren.

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Im vergangenen Jahr sagte Joshua Wong beim Besuch in Berlin: „Hongkong ist das neue Berlin in einem neuen Kalten Krieg.“ Damals wurde ihm Übertreibung vorgeworfen, doch die vergangenen Monate haben ihm recht gegeben. Die Stadt glich dem demokratischen West-Berlin, aber China hat sie mittlerweile zu etwas gemacht, das eher Ost-Berlin ähnelt. Noch ist es jedoch nicht zu spät, sich auf die Seite Hongkongs zu stellen.

Glacier Kwong schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Joshua Wong. Die beiden jungen Aktivisten aus Hongkong kämpfen gegen den wachsenden Einfluss Chinas in ihrer Heimat.

Dieser Text ist aus WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: WELT AM SONNTAG

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