Hongkong:Warnung an alle

Wider Image: The Umbrella Movement - One Year On

Ein Jugendlicher, der eine Weltmacht herausfordert: Joshua Wong im Oktober 2014, während der Besetzung der Hongkonger Innenstadt.

(Foto: Tyrone Siu/Reuters)

Joshua Wong gilt als Gesicht des Widerstands in Hongkong. Das hat auch mit Deutschland zu tun. Jetzt drohen ihm mehrere Jahre Haft.

Von Daniel Brössler und Lea Deuber, Berlin/Peking

Joshua Wong sitzt im Gefängnis, mal wieder. Dieses Mal läuft ein Verfahren gegen den Hongkonger Aktivisten, weil er im Juni des Vorjahres eine nicht autorisierte Versammlung vor dem Polizeipräsidium organisiert haben soll. Ein geringfügiges Vergehen, doch Wong hat für schuldig plädiert. Die Welt soll sehen, was vom Hongkonger Justizsystem übrig ist, sagt der Aktivist, der mindestens bis zum Urteil in Haft bleibt. Für mehrere Jahre könnte Wong ins Gefängnis müssen.

Die Verurteilung gilt als wahrscheinlich. Wenn Peking etwas fürchtet, dann sind es Menschen mit einer Überzeugung. Der 24-Jährige ist das internationale Gesicht des Widerstands, so etwas wie ihr Außenamtssprecher. Bei seinen Auftritten redet Wong nicht mehr nur über Hongkong. Er spricht auch über Xinjiang, Tibet und die Verbrechen, die Peking weltweit begeht. Hongkong ist für ihn nur ein Symptom des Unrechtsstaats. Global sei die Demokratie in Gefahr, warnt Wong. Passt auf, oder ihr seid als Nächstes dran. Das ist die Botschaft, die Peking so rasend macht.

Als Schüler startete er eine Kampagne gegen ungesundes Mensa-Essen

Wong war 14 Jahre alt, als er sich der Kommunistischen Partei das erste Mal in den Weg stellte. 2011 gründete er die Schüler-Aktivistengruppe Scholarism. Zuvor hatte er eine Kampagne gegen das ungesunde Essen seiner Mensa gestartet, die viral ging. Nun hielt er Reden in der Innenstadt, verteilte Flugblätter gegen das Fach "Moralische und nationale Erziehung", das Hongkongs Schüler zu Partei-Patrioten machen sollte. Gehirnwäsche sei das, erklärte Wong. Im September 2012 folgten 120 000 Menschen seinem Protestaufruf, die Regierung musste ihre Pläne zurückziehen.

Zwei Jahre später, 2014, gehörte er zu den führenden Köpfen während der Besetzung der Hongkonger Innenstadt. Hunderttausende kämpften um das Recht, ihren eigenen Regierungschef wählen zu dürfen. "Jetzt kommt die Zeit des Widerstands", sagte Wong. Ein 17-Jähriger, der eine Weltmacht herausfordert? Langsam richteten sich Augen rund um den Globus auf den jungen Mann, gerade auch aus Deutschland. "Xi Jinping ist Herr über eine zwei Millionen Mann starke Armee, 85 Millionen Parteimitglieder und 1,3 Milliarden Chinesen. Joshua Wong ist Schüler, 17 Jahre alt und kaum Herr über den Fluss der eigenen Worte, die ihm in ihrer Hast immer wieder enteilen", schrieb die Süddeutsche 2014. Der Spiegel nannte ihn den 17-Jährigen, "der China das Fürchten lehrt". Deutschland und Wong - das sollte noch eine besondere Beziehung werden.

Als die Massenproteste gegen das Auslieferungsgesetz im Sommer 2019 ausbrachen, saß Wong eine zweimonatige Haftstrafe ab. Es ging immer noch um seine Beteiligung an den Protesten fünf Jahre zuvor. Nach seiner Freilassung sagte der junge Hongkonger, er wolle eine Auszeit nehmen. Wenige Tage später war er zurück.

Doch die Proteste waren anders. Immer wieder marschierten Hunderttausende friedlich. Doch als die Polizei aggressiv gegen die Demonstranten vorging, eskalierte die Gewalt. Der Rückzug des Gesetzesentwurfs durch Regierungschefin Carrie Lam kam im September für viele zu spät. Sie forderten die Erfüllung von fünf Forderungen, darunter eine Untersuchung der Polizeigewalt. Junge, radikalere Demonstranten provozierten, "der harte Kern", wie sie genannt wurden. Eine gesichtslose Bewegung, und anders als 2014 lehnten die Radikalen Anführer ab.

Die Bewegung brauchte internationale Aufmerksamkeit

Das schuf auch Probleme. Die Bewegung brauchte internationale Aufmerksamkeit. Sie brauchte Gesichter - und eine Nummer, die Journalisten anrufen konnten. Wong verstand das, machte sich erneut zu dieser Nummer.

Als mehrere Abgesandte im September 2019 nach Europa reisten, wurde es vor allem für die Deutschen zu einem Wiedersehen mit dem jungen Mann, der viele schon 2014 fasziniert hatte. Wong war kurz vor seiner Abreise vorübergehend festgenommen worden. Das erhöhte die Spannung. Würde Kanzlerin Angela Merkel den bedrängten Aktivisten aus Hongkong empfangen? Das war eine Frage, die nicht nur Journalisten stellten, sondern auch Abgeordnete aus dem Bundestag.

Merkel dachte gar nicht daran. Sie war gerade von ihrer zwölften China-Reise zurückgekehrt und hatte den Streitpunkt Hongkong während dieser Reise so gut es ging umschifft. Ein von der Bild-Zeitung veröffentlichtes Hilfeersuchen Wongs ignorierte sie. Zu Beginn ihrer Kanzlerschaft hatte Merkel den Dalai Lama empfangen und sich damit viel Ärger eingehandelt, nicht nur mit der Führung in Peking. Ähnlich symbolträchtige Gesten vermied sie seitdem - obwohl oder gerade weil der Umgang mit China zu einem der großen Themen ihrer Kanzlerschaft wurde.

Das Foto mit Heiko Maas löste einen Wutausbruch in Peking aus

Zu einem symbolträchtigen Auftritt während des Besuchs von Wong in Berlin kam es dann trotzdem. So wie auch etliche Mitglieder der Bundesregierung war Wong Gast einer Party, zur der die Bild-Zeitung auf die Dachterrasse des Reichstagsgebäudes geladen hatte. Außenminister Heiko Maas nutzte das für eine folgenreiche Geste. Er wechselte mit Wong ein paar Worte. Es entstand auch ein Foto. Ein offizielles Treffen war das nicht, aber für einen Wutausbruch in Peking genügte es. Der deutsche Botschafter wurde einbestellt, monatelang wurde Maas von den Chinesen geschnitten.

Die Heftigkeit der Reaktion mag Maas unterschätzt haben. Ein Versehen war die Begegnung nicht. Im Auswärtigen Amt war schon länger diskutiert worden, wie auf den immer selbstbewusster zelebrierten Machtanspruch Chinas reagiert werden soll. Maas wollte ein Zeichen setzen, durchaus auch ans heimische Publikum. So gesehen kam der in Deutschland prominente Wong recht, und auch die Bühne, die Bild bot, war willkommen.

Es gibt auch Kritik an Wong. So hat er sich nie vom radikaleren Teil der Bewegung distanziert. "Mit rein friedlichem Protest werden wir unser Ziel nicht erreichen", sagte Wong im November 2019 der SZ. Allein war er mit seiner Meinung nicht. Laut einer Umfrage im Herbst 2019 unterstützten 80 Prozent der Hongkonger die Gewalt an der "Front". Einige Tage nach der Besetzung der Polytechnischen Universität, dem Höhepunkt der Gewaltexzesse, gewann die Bewegung neun von zehn Stimmen bei den Bezirkswahlen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Peking davon profitiert, dass gerade die Verzweiflung der Bewegung ihre Legitimität schwächt. Dass Kritiker ihr Rechtlosigkeit vorwerfen, als gäbe es das in Hongkong noch: Recht. Das neue Sicherheitsgesetz ermächtigt Behörden, gegen jeglichen Widerstand vorzugehen. Fast jeden Tag sind seit Inkrafttreten Aktivisten, politische Vertreter und Journalisten festgenommen worden. Viele reiche Hongkonger haben die Stadt verlassen, Aktivisten sind geflohen.

Wong hat seine Verbindungen ins Ausland nicht genutzt. Er hat sich entschieden, zu bleiben. Auch wenn er dafür ins Gefängnis muss. Das ist das Entscheidende, was man über Wong wissen muss. Am Mittwoch wird das Urteil verkündet.

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