Der heimliche linke Interviewpartner: eine unendliche Serie der Öffentlich-Rechtlichen

Kurz vor der Berlin-Wahl lobt eine Passantin beim ZDF die grüne Verkehrspolitik. Was die Zuschauer nicht erfahren: Es handelt sich um eine grüne Politikerin. Zufälle dieser Art haben System.

Screenprint: ZDF
In Berlin steht die Wiederholungswahl am 12. Februar an – und die Verkehrspolitik gehört zu den am heftigsten umstrittenen Themen. Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch spricht sich für eine weitgehende Verdrängung von Autos aus der Innenstadt aus. Als Modellprojekt dient der Umweltsenatorin die teilweise für den Autoverkehr gesperrte Friedrichstraße. Zahlreiche Ladeninhaber der Friedrichstraße protestierten dagegen, viele erlebten einen Umsatzeinbruch, manche mussten schließen.

Die Wähler fast aller Parteien lehnen das Experiment ab. Ausnahme: Parteigänger der Grünen.

Mit der im grünen Sinn stillgelegten früheren Verkehrsachse befasste sich am 7. Februar die ZDF-Sendung Drehscheibe unter der Überschrift „Expedition: Berlin wählt“. Eine Reporterin interviewt eine junge Dame namens Marie Heidenreich, die scheinbar zufällig mit ihrem Elektroroller vor der Kamera stoppt. „Sie wohnt um die Ecke und spricht uns an“, erklärt die RBB-Mitarbeiterin. Auf die Frage, was jetzt an der Friedrichstraße aus ihrer Sicht anders sei, schwärmt Heidenreich, es sei jetzt „wahnsinnig ruhig, total schön ohne Autolärm, wahnsinnig entspannt“. Und: „Ich kann mich mit Kolleginnen und Kollegen hier treffen.“

Die Reporterin stellt keine Nachfrage, etwa, warum das vor der Verkehrsberuhigung nicht ging. Und schon macht sich die scheinbar spontane Lobrednerin der grünen Verkehrspolitik wieder auf den Weg.

Bei Marie Heidenreich handelt es sich allerdings um keine ganz normale Passantin. Im politischen Leben war sie Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Energie und Klima des grünen Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt wählt sie nach eigenen Angaben Stipendiaten der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin aus.

Grüne oder linke Politiker oder Funktionäre, die öffentlich-rechtlichen Teams vor die Kamera laufen, um dort, ausgewiesen als normale Bürger, ihre Botschaften loszuwerden, rhetorisch immer gut präpariert – diese Zufälle kommen bei öffentlich-rechtlichen Sendern serienweise vor.

— ÖRR Blog. (@OERRBlog) February 9, 2023

Im September 2021 etwa radelte ein Bürger ebenfalls einem RBB-Team vor die Kamera, um auf Nachfrage die grüne Fahrradpolitik zu loben: „Es gibt mehr und mehr Pop-Up-Radwege. Das finde ich super.“ Doch Berlin brauche davon noch „so viel mehr“.

Auch bei dem Radler, der so spontan sein Statement loswurde – ebenfalls kurz vor der damaligen Wahl – handelte es sich um keinen Normalberliner – sondern um Georg Kössler, damals grüner Direktkandidat in Neukölln.

Der RBB beteuerte 2021 auf Anfrage, die Begegnung sei reiner Zufall gewesen, von Kösslers Kandidatur hätten die Reporter nichts geahnt.

Übrigens sicherlich auch nur ein Zufall: Der Ehemann von Bettina Jarasch – Oliver Jarasch – arbeitet in leitender Funktion beim RBB.

Die Undercover-Wahlkampfhilfe im Öffentlich-Rechtlichen besitzt eine längere Tradition: Schon kurz vor der Bundestagswahl 2017 produzierte die ARD-Anstalt MDR einen Beitrag über Wohnungsnot in Leipzig. “Der Wohnungsmarkt in Mitteldeutschland verschärft sich. Besonders spürbar ist das in der stark wachsenden Stadt Leipzig, wo die Mieten förmlich explodieren. In der DDR waren solche Preise nicht vorstellbar”, kommentierte die MDR Sendung Umschau damals. Und ließ eine 36-jährige Frau namens Franziska Riekwald über die Wohnungsnot in der Messestadt klagen. Eine wesentliche Information fehlte: Riekwald, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Stadtrat, kandidierte damals für den Bundestag im Wahlkreis Leipzig I. Ihr zentrales Wahlkampfthema: Wohnungsnot in Leipzig.

Um Verkehrspolitik wie beim ZDF und RBB in ihren Berlin-Berichten ging es auch am 1. Februar 2023 in der Sendung des BR „Jetzt red I“, deren Macher gern betonen, dass hier normale Bürger zu Wort kommen. Ein Nikolai Lipkowitsch verteidigt dort vehement das umstrittene Münchner Dieselfahrverbot, das ab 1. Februar gilt. Der Mittlere Ring, so Lipkowitsch, sei „die dreckigste Straße Deutschlands“, das Dieselfahrverbot nötig, aber längst nicht genug.

Was die Zuschauer nicht erfahren: Bei Lipkowitsch handelt es sich um ein Mitglied der Grünen im Ortsverband Neuhausen-Nymphenburg und Fraktionssprecher im Bezirksausschuss.

Zu einer anderen verkehrspolitischen Maßnahme berichtete die Tagesschau am 23. Mai 2022 sehr wohlwollend: Thema war das 9-Euro-Ticket. Das Tagesschau-Team interviewte in Berlin eine scheinbar zufällig ausgewählte Bahnkundin, die das verbilligte Ticket – das vor allem von Grünen und SPD gefordert wurde – lauthals lobte. Den Namen der Spontaninterviewten blendete die ARD in falscher Schreibweise ein, ihre Funktion dagegen gar nicht: Denn Gesprächspartnerin Elke Hannack arbeitet als stellvertretende DGB-Vorsitzende

Neben den zufälligen Interviewpartnern bilden die scheinbar neutralen Experten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine eigene Kategorie. Am 6. Februar 2023 etwa interviewte die Tagesschau den Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder zum Thema „10 Jahre AfD“. Was die Zuschauer nicht erfuhren: Nebenbei sitzt Schroeder in der Grundwertekommission der SPD.

Auch nach den Silvesterausschreitungen in Berlin holte WDR aktuell Anfang Januar einen scheinbar neutralen Fachmann vor die Kamera: Franco Clemens, untertitelt mit „Streetworker“. Clemens deutete die Gewaltausbrüche als Signale von „benachteiligten Jugendlichen“ – ganz im Sinn des Tenors bei der ARD-Anstalt. Die Zuschauer erfuhren nicht, dass Clemens sich auch politisch engagiert: als von der Fraktion der Linkspartei in Köln benanntes Mitglied im Jugendhilfeausschuss.

Erst, als ihn Zuschauer darauf aufmerksam machten, trug der WDR diese Funktion später nach.

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