Die
Konfrontation zwischen den USA und China spitzt sich täglich weiter zu. Die
Europäer wollen sich zwar nicht von Donald Trump ins antichinesische Schlepptau
nehmen lassen. Doch auch sie sehen die Politik und Strategie Pekings heute weit
skeptischer als noch vor zwei oder drei Jahren. Xi Jinpings Win-Win-Lyrik lullt
sie nicht länger ein. Nach einer ECFR-Umfrage in neun EU-Ländern sehen 62
Prozent der Befragten die Volksrepublik in einem negativen Licht, nur sieben Prozent
halten sie für einen nützlichen Verbündeten. Und die leitenden Politiker der
Europäischen Union schlagen neuerdings gegenüber China ungewohnt harte Töne an.
Das
zeigte sich schon Ende Juni bei der ersten Videokonferenz der EU-Spitze mit
Chinas Präsident und Premier. Und auch bei dem zweiten virtuellen Gipfel, der
in der vergangenen Woche anstelle des ursprünglich von der Bundeskanzlerin als
Höhepunkt ihrer Ratspräsidentschaft geplanten Treffens in Leipzig stattfand,
nahmen die EU-Unterhändler kein Blatt vor den Mund. Wohl gab es in einigen
strittigen Punkten eine leichte Annäherung; zum Beispiel bei der Übertragung
technischen Wissens an chinesische Joint-Venture-Partner.
Doch besonders bei dem Thema offener Marktzugang in beiden Richtungen gab es keine Einigung; auch stieß Pekings Säumigkeit beim Kampf gegen den Klimawandel auf Kritik. Nicht einmal bei den Verhandlungen über ein Investitionsabkommen, die sich inzwischen seit sieben Jahren hinschleppen, gab es befriedigende Fortschritte. "Da bleibt noch viel zu tun", sagte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und setzte offenherzig hinzu, China müsse die EU erst einmal überzeugen, dass sich solch ein Abkommen überhaupt lohne. Die Bundeskanzlerin sprach zurückhaltend von "Berührungspunkten"; mehr vermochte auch sie nicht zu erkennen.
Von der Chance zur Bedrohung
Hinzu
kam der politisch verdüsterte Hintergrund. Die Unterdrückung der Uiguren, die
Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong und die immer offenere
militärische Bedrohung Taiwans gaben der allgemeinen Beunruhigung über Chinas
Drang an die Weltspitze, seinem Führungsehrgeiz auf dem militärischen wie auf dem
technologischen Feld und seinem geopolitischen Ausgreifen verschärfte Konturen.
Der Aufstieg Chinas wird nicht länger bloß als Chance gesehen, sondern
zunehmend als Herausforderung, ja: als Bedrohung empfunden. Und dies wird
mittlerweile deutlicher zum Ausdruck gebracht als je zuvor.
Es war gewiss kein Zufall, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die von vielen verlangte harte Linie aufzeigte, während der chinesische Außenminister Wang Yi durch Europa reiste und um dessen Schulterschluss gegen die Vereinigten Staaten warb. In mehreren Artikeln nannte Borell China ein neues Imperium, auftrumpfend, expansionistisch und autoritär. Es unterminiere das Völkerrecht zumal im Südchinesischen Meer. "Sein Ziel ist die Verwandlung der internationalen Ordnung in ein selektives multilaterales System mit chinesischer Prägung, in dem wirtschaftliche und soziale Rechte Vorrang haben vor politischen und bürgerlichen Rechten." Es sei erforderlich, die asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen auszubalancieren, sonst sei es bald zu spät. "Wir sollten nicht an den Punkt gelangen, wo wir Europäer uns entscheiden müssen, entweder eine amerikanische oder eine chinesische Kolonie zu sein. Wir müssen mit beiden auf unsere eigene Weise umgehen", formulierte Borrell seine Sinatra-Doktrin, frei nach dem Song My Way des US-Sängers.
Es mag auch kein Zufall sein, dass das Auswärtige Amt im Namen der Bundesregierung Berlins neue "Leitlinien zum Indo-Pazifik" veröffentlichte, während der chinesische Außenminister Berlin besuchte. In dem 68 Seiten langen Papier wird zum ersten Mal das deutsche Interesse an der Region ausführlich begründet. Dort entscheide sich die Ausgestaltung der internationalen Ordnung von morgen, stellt Außenminister Heiko Maas in seinem Vorwort fest. Deutschland dürfe sich nicht mit einer Zuschauerrolle begnügen. Unser Wohlstand hänge von offenen Seewegen und der Teilhabe an Asiens funktionierenden Wachstumsmärkten ab. Ferner müsse sich Deutschland stärker mit den Sicherheitsbelangen seiner bewährten Partner auseinandersetzen – "auch durch Beteiligung an Übungen".
Die
Leitlinien sind ausdrücklich als Beitrag zu einer künftigen EU-Asienstrategie
gedacht. Von "Wertepartnern" wie Singapur, Australien, Neuseeland, Japan,
Südkorea und Indien ist einerseits die Rede, andererseits, ohne China direkt zu
nennen, von "autoritären Akteuren". Das sicherheitspolitische Engagement mit
den Wertepartnern soll "innerhalb der Nato" ausgebaut, das
Seerechtsübereinkommen Unclos von 1982 gesichert werden. Weltweit werde sich die Bundesregierung für Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit einsetzen, die "in einigen Ländern nicht ausreichend
geschützt" seien, mit deren Regierungen sie einen "offenen und kritischen
Austausch" verfolge. China wird beschrieben als "Regionalmacht und aufstrebende
Weltmacht, die Regeln der internationalen Ordnung stellenweise in Frage stellt".
Bei
einem vierstündigen Video-Symposium zwischen Global Bridges (Berlin) und dem
China Institute for International Strategic Studies (Peking) war festzustellen,
dass sich die Chinesen für die Leitlinien besonders intensiv interessieren. Sie
blieben allerdings bei ihrer sturen Haltung: Die Inselwelt des Südchinesischen Meeres stehe seit 2.000 Jahren unter chinesischer Verwaltung und Jurisdiktion;
ihr weltweiter Infrastrukturkreuzzug, Xi Jinpings Seidenstraßenprojekt, diene
nicht der Schaffung von Einflusssphären, sondern sei lediglich
Entwicklungshilfe; Chinas sogenanntes "Ausgreifen" habe nichts mit
Imperialismus zu tun; und westliche Menschenrechtsbelehrungen seien eine
unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik.
Indessen
werden die Chinesen begreifen müssen, dass Europa sich – trotz Trump! – nicht
wird von Amerika abspalten lassen. Dass die Europäer – und trotz aller engen
wirtschaftlichen Verbindungen auch die Deutschen – ihre Interessen und ihre
Werte in Zukunft robuster vertreten werden als bis dato. Dass Respekt vor der
Einstellung des anderen keine Einbahnstraße sein kann. Schließlich aber auch,
dass wir auf der Basis gegenseitigen Respekts weiterhin zusammenarbeiten
können: bei der Bewältigung der Corona-Epidemie, beim Kampf gegen den
Klimawandel und bei der Rettung des freien Welthandels. Europa wird sich den
Herausforderungen stellen, die uns Chinas Aufstieg beschert, doch wird es
nicht die Chancen vernachlässigen, die er bietet.
Die
Konfrontation zwischen den USA und China spitzt sich täglich weiter zu. Die
Europäer wollen sich zwar nicht von Donald Trump ins antichinesische Schlepptau
nehmen lassen. Doch auch sie sehen die Politik und Strategie Pekings heute weit
skeptischer als noch vor zwei oder drei Jahren. Xi Jinpings Win-Win-Lyrik lullt
sie nicht länger ein. Nach einer ECFR-Umfrage in neun EU-Ländern sehen 62
Prozent der Befragten die Volksrepublik in einem negativen Licht, nur sieben Prozent
halten sie für einen nützlichen Verbündeten. Und die leitenden Politiker der
Europäischen Union schlagen neuerdings gegenüber China ungewohnt harte Töne an.