Während die Europäische Union sich mit der Bewältigung der Corona-Pandemie herumschlägt und die Deutschen sich über Osterferien und Gendersternchen streiten, entsteht in Asien – im Indo-Pazifik, wie es neuerdings heißt – die geopolitische Infrastruktur des nächsten Kalten Kriegs. Die Konfliktlinien zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China nehmen immer schärfere Konturen an. Die USA setzen dabei primär auf strategische Partnerschaften, China hingegen auf ökonomische Bindungen. Die Frage ist, was sich am Ende als wirkmächtiger erweist.

In Anchorage haben sich die Kontrahenten – US-Außenminister Antony Blinken einerseits, das Politbüromitglied Yang Jiechi und Pekings Außenamtschef Wang-Yi andererseits – am Donnerstag vergangener Woche eine öffentliche Schlammschlacht geliefert. Sie machte unmissverständlich klar, dass an Entspannung, gar Aussöhnung mitnichten zu denken ist.

Blinken warf den Chinesen die ganze Litanei US-amerikanischer Vorwürfe an den Kopf: Menschenrechtsverletzungen in Hongkong, Unterdrückung der Uiguren in Xijiang und Drohungen gegen Taiwan, Cyberangriffe auf die USA, dazu ökonomische Nötigung von US-Verbündeten. "All diese Handlungen bedrohen die regelbasierte Ordnung, auf der die weltweite Stabilität beruht. Daher sind sie nicht bloß innere Angelegenheiten."

Yang Jiechi schlug zurück, indem er die Amerikaner der Menschenrechtsheuchelei und des Rassismus bezichtigte. Xijiang, Tibet und Taiwan seien unveräußerliche Gebietsteile Chinas; Jegliche Einmischung in seine inneren Angelegenheiten sei daher scharf zurückzuweisen. Und überhaupt: Wer nötige denn wen? Es seien doch die USA, die ihre militärische Macht und ihre finanzielle Hegemonie nutzten, um andere Länder zu unterdrücken und dem Rest der Welt ihre Demokratie aufzudrängen.

Die Chinesen wähnen die Geschichte auf ihrer Seite. Sie bauen darauf, dass das Gros der Staatenwelt die universellen Werte ablehnt, die Amerika verficht, und auch die Regeln nicht länger anerkennt, die von der westlichen Minderheit für die Weltordnung gesetzt worden sind. Sie verlassen sich darauf, dass Chinas Wirtschaftsleistung vor dem Ende des zwanziger Jahrzehnts die amerikanische übertreffen wird und das Reich der Mitte bis 2035 technologische Dominanz in allen wesentlichen Sektoren einschließlich der Künstlichen Intelligenz erlangt. Zugleich soll die Aufrüstung und Modernisierung der Volksbefreiungsarmee schon bis 2027 abgeschlossen werden, sieben Jahre früher als bisher geplant; offensichtlich mit dem Ziel, China in einem Konflikt um Taiwan die Oberhand zu verschaffen.

US-Präsident Joe Biden setzt dem eine Politik entgegen, die an Schärfe nicht hinter Donald Trumps Vorgehen zurückbleibt, indessen an Fokussierung und Zielgerichtetheit weit über den Kurs seines erratischen Vorgängers hinausgeht. Biden hat Trumps Strafzölle alle in Kraft gelassen, desgleichen die Verbote für den Export von Hightech und von Investitionen in 60 chinesische IT-Unternehmen. Den Sanktionen wegen der Unterdrückung der Uiguren und der Aufhebung der Hongkonger Freiheitsrechte hat er zwei Dutzend weitere hinzugefügt. Handelsgespräche lehnt er ab, und auch von einem strategischen Dialog will er nichts wissen. Dafür hat er früh einen Flugzeugträgerverband in die Straße von Taiwan geschickt. Eine neu gegründete China Task Force soll den Umgang mit China koordinieren.

Vor allem aber ist Biden dabei, anders als der bündnisunwillige Trump, eine "Allianz der Demokratien" zur Eindämmung Chinas zu schmieden. Wie weit er da auch die Europäer einspannen will (und kann), ist noch schwer abzusehen. Aber in Asien ist er voll dabei, eine Koalition gegen China zu schaffen. Das Stichwort heißt Quad.

Quad ist die Abkürzung von Quadrilateral Security Dialogue, einem informellen Gesprächskreis über Sicherheitsfragen zwischen den Vereinigten Staaten, Japan, Australien und Indien. Er geht auf eine Anregung des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe aus dem Jahr 2007 zurück, um auf Chinas Ambitionen im Südchinesischen Meer zu reagieren. Doch erst zehn Jahre später, nach der chinesischen Übernahme der Paracel-Inseln und der Spratlys, dem Beginn des forcierten Flottenausbaus in der Volksrepublik und ihrem Streben nach überseeischen Marinestützpunkten, gewann der Dialog an Bedeutung. Ein virtueller Vierergipfel, bei dem Biden, der Inder Narendra Modi, der Australier Scott Morrison und der Japaner Yoshihide Suga am 12. März die Bedeutung einer "freien und offenen indo-pazifischen Region" für ihre Länder unterstrichen, hat ihn jetzt ins Zentrum gerückt. Die jüngsten Gespräche der US-amerikanischen Außen- und Verteidigungsminister in Tokio und Seoul erhöhten zumal in Asien das Interesse an der Quad.

Die vier Dialogpartner haben alle ihre Probleme mit Xi Jinpings China. Die USA wollen ihre Vormachtstellung im Westpazifik verteidigen. In Japan lässt Chinas Anspruch auf die Senkaku-Inseln, der 2020 an 333 Tagen durch die Entsendung von Küstenwachteinheiten unterfüttert wurde, die Alarmglocken schrillen. An der Himalaya-Grenze verwickeln die Chinesen die indische Armee immer wieder in verlustreiche Gefechte, zuletzt im Juni vorigen Jahres. Und Australien ist seit ein, zwei Jahren das Objekt chinesischer Boykottmaßnahmen und publizistischer Anfeindungen ("ein Kaugummi an der Schuhsohle Chinas", lästert Hu Xijin, der Chefredakteur der parteigesteuerten Global Times).

Aber die Quad ist keine asiatische Nato. Sie würde es auch nicht, wenn Neuseeland, Südkorea, die Philippinen und Vietnam hinzuträten. Man wird Gespräche über Sicherheitspolitik führen, das ein oder andere gemeinsame Manöver veranstalten, vielleicht auch Indien, das 60 Prozent der Impfstoffe der Welt herstellt, finanziell unterstützen, um seine Produktion auszubauen und damit der chinesischen Vakzin-Diplomatie etwas entgegenzusetzen.

Warum die Quad keine Nato werden kann? Die Erklärung ist einfach. In der Nato konnte jeder gegen die Sowjetunion sein, denn wirtschaftlich spielte sie für niemanden eine Rolle. Anders China: Alle, auch diejenigen, die seine Politik missbilligen, sind ökonomisch eng mit ihm verbunden, auf es angewiesen, von ihm abhängig. Yang Jiechi wies Blinken boshaft darauf hin, dass die zwei Länder, die er eben besucht hatte, Japan und Südkorea, Chinas zweitgrößter und drittgrößter Handelspartner sind.

Kishore Mahbubani, der singapurische Diplomat und Politikwissenschaftler, ist überzeugt: Die Quad wird den Lauf der asiatischen Geschichte nicht verändern. Erstens hätten die Vier sehr verschiedene Interessen und Verletzlichkeiten, zweitens sei das große strategische Spiel in Asien kein militärisches, sondern ein ökonomisches. In Anspielung auf die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), die größte Freihandelszone der Welt, in der China Ende 2020 fünfzehn asiatisch-pazifische Nationen zusammengeführt hat, pointierte er: "Die Zukunft Asiens wird in vier Buchstaben geschrieben, RCEP, nicht QUAD."