Woke: Pseudolinks ist nicht „Linksliberal“

Woke: Pseudolinks ist nicht „Linksliberal“

Woke: Pseudolinks ist nicht „Linksliberal“

Ein Artikel von: Tobias Riegel

In der Debatte um pseudolinke und „woke“ Politik wird oft ein „linksliberales“ Milieu beschrieben, das es gar nicht gibt: Die grünen Kriegstreiber und Corona-Hardliner, die die sozialen Fragen nicht stellen – sie und ihre Gefolgschaft sind weder „links“ noch „liberal“. Ein aktueller Gastbeitrag in der Zeit geht aber genau davon aus, dadurch steht er beispielhaft für eine weit verbreitete Medien-Marotte: Mit großer Sturheit wird auf falschen Annahmen beharrt – daraus werden dann absurde gesellschaftliche Schlussfolgerungen gezogen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Zeit hat unter dem Titel „Würg!“ einen Gastbeitrag der Literatursoziologin Carolin Amlinger und des Soziologen Oliver Nachtwey veröffentlicht. Die These: Die Linksliberalen seien „das neue Feindbild im politischen Diskurs“, ihre Kritiker würden nun „eine publizistische Infrastruktur des Anti-Linksliberalismus“ aufbauen. Weil der Artikel einige Verbreitung findet und weil in ihm einige Probleme der aktuellen politischen Kommunikation – etwa die Begriffsumdeutung von „rechts“ und „links“ – besonders deutlich werden, gehen wir hier darauf ein, beispielhaft für viele andere Beiträge zum Thema.

Dass man nicht genau weiß, von wem im Text die Rede ist, das macht es den Autoren einfach, rhetorisch zu manövrieren. Bezieht sich „Linksliberalismus“ auf dessen historische Ausprägungen, auf die sozialliberale Koalition ab 1969, auf die heute in den USA gebräuchliche Definition des „Liberals“? Oder sind mit dem Modebegriff einfach „gemäßigte Linke“ gemeint, was immer das heute noch aussagt?

Das „linksliberale“ Milieu ist weder links noch liberal

Unabhängig davon, wie man den zentralen Begriff des Textes auslegt, ist sicher: Das dort beschriebene Milieu ist weder links noch ist es liberal – Grün ist das neue Rechts, wie Hannes Hofbauer kürzlich beschrieben hat. Dieser Befund wird aber von fast allen großen Medien vernebelt: Es wird einfach darauf beharrt, dass der grüne Zeitgeist als „links“ zu gelten hat, dabei ist hilfreich, dass das Wort „links“ längst durch Umdeutung seiner klassischen Bedeutung beraubt wurde. Dass auch die Bedeutung des Begriffs „liberal“ verändert wurde, das hat die FAZ beschrieben:

„Die Paradoxie wird nicht mehr wahrgenommen, weil auch ‚liberal‘ mittlerweile einen klammheimlichen Bedeutungswandel durchlaufen hat. In Verbindung mit ‚links‘ bezeichnet es keine freiheitliche Gesinnung mehr, sondern nur noch eine distanzierte Haltung zum Antikapitalismus der klassischen Linken, gekoppelt mit einem Habitus, der Offenheit suggeriert, aber Meinungsfreiheit oft genug im Sinne Mark Twains versteht: ‚Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.‘“

Die Wirkung der durch die Grünen dominierten Regierungspolitik ist bekannt und niederschmetternd: ein Wirtschaftskrieg mit potenziell fatalen sozialen Folgen für die deutschen Bürger, eine radikale und brandgefährliche Parteinahme in einem Krieg, der nicht der unsere ist, ein Verrat am Umwelt- und Klimaschutz, die Ignoranz gegenüber der sozialen Frage, die Dominanz der Militaristen, die Unterwerfung unter für Europa zerstörerische US-Interessen, die Diffamierung von Regierungskritikern und so weiter – all das ist nicht links. Wer aber dagegen eintritt, der wird heute, wie man weiß, als rechts dargestellt.

Woke Politik als Ablenkungsmanöver von Krieg und Sozialem

Gegen viele Aspekte woker Politik ist nichts zu sagen, Initiativen gegen Rassismus sind prinzipiell gut. Das Problem ist die Überbetonung und die tarnende Wirkung, die davon ausgeht. Man kann heute schlimme politische Dinge anstellen, von Kriegstreiberei bis zur Zensur – solange man nur in Regenbogenfarben daherkommt und die richtigen Phrasen zur „Pluralität“ im Mund führt. Verniedlichung und Entpolitisierung nutzt auch der Zeit-Beitrag: Wer wollte der folgenden unschuldigen Gruppe schon fragwürdiges Verhalten unterstellen? Dass sie gleichzeitig Russenhass, Waffenlieferungen und einer für benachteiligte Bürger und die Umwelt potenziell fatalen Wirtschaftspolitik anhängen, könnte dabei untergehen:

In diesem Text geht es um eine gefährliche Gruppe. Ihre Mitglieder fahren Lastenfahrräder, bei ihnen kommt nur “bio und fair gehandelt” in den Jutebeutel, sie tragen gerne Funktionsjacken, quälen ihre Kinder mit Holzspielzeug und wollen allen anderen den Spaß am Leben verderben.

Außerdem: Der hierzulande durch Wirtschaftskrieg, Aufrüstung, US-Unterwerfung und „Klimapolitik“ abfließende Wohlstand geht ja nicht zu den Bedürftigen dieser Welt – was soll also daran links sein, wenn nun noch mehr Geld aus der deutschen Volkswirtschaft zu internationalen Konzernen fließt? Die angekündigte grüne Verarmung, die unter anderem in diesem Kommentar verteidigt werden soll, ist also in keiner Hinsicht eine soziale Tat, sondern sie wirkt im Gegenteil reaktionär, weil der abfließende Wohlstand zu Superreichen geht, er dann aber potenziell im Sozialsystem hierzulande fehlen könnte: Die Forderungen nach sozialen Kürzungen werden bald zunehmen.

Angeblich zentrale „linke“ Forderungen: Gendern, Transrechte, Fleischverzicht

Werden in diesem Absatz etwa die zentralen „linken“ Inhalte beschrieben?

Eine neue Koalition entsteht, die sich auflehnt: gegen Gendern, Klimaproteste, Transrechte, Fleischverzicht in der Kantine und Einschränkung des individuellen Pkw-Verkehrs. Das Feindbild, das viele Menschen vereint, die sonst wenig miteinander gemein haben, ist dabei eindeutig zu erkennen: der Linksliberalismus.

Wir fassen zusammen: Laut dem Kommentar (und ich denke, diese Einstellung ist inzwischen auch bei vielen „normalen“ Bürgern erschreckend weit verbreitet) bedeutet „linksliberal“ (also irgendwie „links“) Folgendes: Gendern, Klimaproteste, Transrechte, Fleischverzicht in der Kantine und Einschränkung des individuellen Pkw-Verkehrs. Der Text bekräftigt und illustriert über weite Strecken und mit wenigen Einschränkungen genau das, was er entkräften möchte: den Eindruck, dass der pseudolinke Zirkus von viel relevanteren Themen ablenken soll.

Ich persönlich lehne die Gendersprache voll und ganz ab – aber das ist selbstverständlich nicht meine zentrale Kritik an der Regierung oder dem grünen Zeitgeist: Die zentrale Kritik richtet sich zuallererst und unter vielem anderem gegen (zusätzliche) soziale Verarmung Benachteiligter als mögliche Folge der grünen Sanktions- und Wirtschaftspolitik und gegen die radikale und gefährliche Kriegstreiberei in Wort und Tat.

Pseudolinke haben die Begriffe entwertet

Dazu kommt noch das Verhalten von grünen und anderen pseudolinken Corona-Hardlinern, die es versäumt haben, sich den Auswüchsen dieser grotesken Politik entgegenzustellen. Das Verhalten vieler Pseudolinker bei Corona hat einer bereits angeschlagenen (parlamentarischen und außerparlamentarischen) Linken einen harten Schlag versetzt. Ein weiterer Schlag erfolgt aktuell durch die Haltung des pseudolinken LINKEN-Flügels zur NATO.

Die Partei Die LINKE hat gute soziale Forderungen im Programm, aber nach außen wird das dadurch überdeckt, dass von einigen lauten Akteuren Identitätspolitik massiv in den Vordergrund gedrängt wurde. Auch wegen des schrillen Verhaltens von Teilen der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken wurde „Links“ mancherorts fast schon zum Schimpfwort, auch für manche politisch Vernünftige, die sich selbst als politisch links definieren. Dass das Verhalten vieler Pseudolinker in unverantwortlicher Weise die AfD stark macht, ist längst bekannt.

Man sollte aber das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten: Die Kritik am Verhalten mancher Pseudolinker sollte auf keinen Fall zur allgemeinen Verdammung auch der guten, klassischen linken Forderungen führen – vor allem auf sozialer, friedens- und wirtschaftspolitischer Ebene!

Die „anti-linksliberale Matrix“

Kritiker der ablenkenden Überbetonung von Identitätspolitik beschreibt die Zeit (und sinngemäß viele andere Medien) so: Diese „Neodissidenten“ würden sich als „Ausgestoßene“ präsentieren. Momentan entstehe „eine publizistische Infrastruktur des Anti-Linksliberalismus“. Die „diskursiven Räume einer anti-linksliberalen Dissidenz“, die „vermeintlich verstoßenen Intellektuellen“, die „anti-linksliberale Matrix“ – all das sei „eine Koalition der Grollenden“. Sogar die NachDenkSeiten werden von den Autoren in diese grollende Querfront-Koalition eingeordnet.

Dabei beschreiben die Autoren auch selber, wie alles „Linke“ und alles „Liberale“ aus dem „Linksliberalismus“ entfernt wurde. Trotzdem bleiben sie stur bei dem irreführenden und völlig entleerten Begriff:

Der heutige Linksliberalismus ist nicht mehr pazifistisch. Ehemals Friedensbewegte lassen keine Gelegenheit aus, mehr militärische Aufrüstung zu fordern. Und war der alte Sozialliberalismus noch dezidiert marktkritisch, sind Teile des Linksliberalismus der Gegenwart vergleichbar mit dem Hinweis auf einer Lebensmittelverpackung: Kann Spurenelemente von Sozialpolitik enthalten. Aus der vielschichtigen, mit der sozialen Frage verknüpften Emanzipationsperspektive diskriminierter Gruppen ist eine verengte Diversitätspolitik geworden.

Das Eintreten für den Erhalt von hart erkämpften Errungenschaften (sozial und bezüglich der individuellen Freiheit, die eben nicht die FDP-Freiheit für Konzerne bedeuten darf) wird zum reaktionären Verharren erklärt. Und die Folgen der Regierungspolitik werden als „sozialer Wandel“ verniedlicht, also indirekt zur angeblich unabänderlichen höheren Gewalt umgedichtet, auch das ist heute weit verbreitet:

Was die anti-linksliberale Koalition so subversiv und letztlich gefährlich macht, ist ihr überschießendes Ressentiment. Nicht der Linksliberalismus erschüttert diese Tugenden, sondern die Kritik an ihm hat eine illiberale Drift. Konfrontiert mit den Widersprüchen des sozialen Wandels, fordern die Kritiker, dass alles so bleiben soll, wie es früher einmal war.

Wir müssen uns unsere Begriffe zurückerobern

Fazit: Wir müssen uns unsere Begriffe zurückerobern. Oder wir müssen neue finden. Denn es ist gelungen, die politische Kommunikation durch Umdeutungen in ein verwirrendes Labyrinth und einen hysterischen Zirkus zu verwandeln.

5.5.2023 16.30 Uhr: Die Artikelüberschrift wurde zum besseren Verständnis leicht gekürzt

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Titelbild: Netzfund

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