Die Debatte um kulturelle Aneignung geht weiter: Nun geraten auch blond gefärbte Haare unter Verdacht

Wollen Frauen, die sich die Haare blond färben, dadurch ihre genetische Überlegenheit zeigen? Dies wird in einer neuen identitätspolitischen Debatte behauptet. Wie einfach war das Leben, als man als Blondine bloss für dumm und naiv gehalten wurde.

Birgit Schmid 4 min
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Blonde Haare stehen für Unschuld und Jugend – deshalb sind sie so begehrt. Grace Kelly, 1955.

Blonde Haare stehen für Unschuld und Jugend – deshalb sind sie so begehrt. Grace Kelly, 1955.

Philippe Halsman / Magnum / Keystone

Diesmal geht es nicht um kulturelle Aneignung durch blonde Dreadlocks, sondern um die Aneignung von sozialem Status durch falsches Blond. In beiden Fällen wirft man den Frisurenträgern vor, sich mit etwas zu schmücken, das ihnen nicht zusteht.

Weisse mit Rastas bedienen sich bei einer fremden Kultur. Künstlich Blondierte beanspruchen die Symbolik der begehrten Haarfarbe, die nicht ihre natürliche ist, für sich. Weil es sich bei blonden Haaren um ein ausschliessliches genetisches Merkmal von Weissen handelt, scheint der Wunsch danach besonders problematisch.

So argumentiert die Soziologieprofessorin und Autorin Tressie McMillan Cottom, eine Afroamerikanerin, die die jüngste identitätspolitische Debatte ausgelöst hat. Anfang Jahr sah sie auf Tiktok das Video einer jungen weissen Amerikanerin, deren blonde Haare die dunklen Wurzeln zeigten. Nutzerinnen warfen der Frau vor, eigentlich brünett zu sein. Um den Vorwurf zu entkräften, liess diese ihre Mutter sagen, nein, die Tochter sei keine natürliche Brünette: «Du wurdest blond geboren.»

Das provozierte McMillan Cottom ihrerseits zu einem Kommentar auf der Videoplattform. Für sie ist «blond» ein ethnisches Merkmal. Indem man betone, als Kind blond gewesen zu sein, meine man immer etwas anderes mit. Denn warum wäre es einem sonst so wichtig, bei der Selbstbeschreibung auf die phänotypische Erscheinung in den ersten Jahren des Lebens hinzuweisen?

Natürliches Blond sei eine Auszeichnung und verleihe einer Frau Ansehen und Macht, wiederholte McMillan Cottom in einer späteren Kolumne in der «New York Times». Genauso werde sozialer Status definiert: Manche hätten ihn natürlicherweise, andere strebten nach ihm, indem sie sich das Aussehen verpassten, das sie aufwerte.

Wer sich also die Haare blond färbe, wolle als Mitglied der dominanten Gruppe lesbar sein, so die Autorin, und das ist ihr eigentlicher Punkt: «Blond ist keine Haarfarbe, sondern eine Bezeichnung für einen bestimmten Menschentyp.» Gemeint sind Weisse mit ihren Privilegien.

Starker Symbolgehalt

Innerhalb von zwei Tagen wurde das Video 1 Million Mal angeklickt. Die Blonden und «selbsternannten Blondinen» (McMillan Cottom) liessen den Angriff nicht unbeantwortet. Die meisten sahen nicht ein, weshalb die Wahl ihrer Haarfarbe ein politischer Entscheid sein sollte, der ein Diskriminierungspotenzial habe.

Die Soziologin wiederum sah sich durch die wütenden Reaktionen bestätigt, dass Schönheit, Macht und Hautfarbe mehr miteinander zu tun hätten, als viele wahrhaben wollten. Sie teilte weiter aus, bis sie von Tiktok kurzzeitig gesperrt wurde.

Die Theorie, dass blondierte Haare ein sozialer Status seien, dem rassistisches Denken zugrunde liege, wirkt tatsächlich übersteuert. Was stimmt: Blond hat eine starke Symbolik. Keine andere Haarfarbe weckt ähnliche Phantasien. Blond steht für Reinheit, Unschuld und Sanftmut. Blonde Haare galten schon in der Antike als Schönheitsideal, sie werden mit der Sonne in Verbindung gebracht, mit Gold, wecken lauter positive, leuchtende Assoziationen.

Die wie die Sonne leuchtenden Haare als zeitloses Schönheitsideal: «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli.

Die wie die Sonne leuchtenden Haare als zeitloses Schönheitsideal: «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli.

PD

Was so rar ist, ist begehrt

Es gibt also schon eine Obsession mit blonden Haaren. Weil sie selten sind, wollen sie so viele haben. Nur ungefähr 2 Prozent der Weltbevölkerung sind natürlich blond, alle anderen helfen künstlich nach. Blonde Haare werden mit dem Alter dunkler, und auch deshalb ist blond so begehrt: Die Farbe wird mit Jugendlichkeit verbunden.

Mit natürlichem Blond ist immer ein Verlust verknüpft. Selbst strohblonde Kinder verlieren das helle Haupt in der Pubertät. Deshalb ist das Nachfärben später auch eine Erinnerung an sich selbst. Was tut man nicht alles, um die Spuren der Zeit am Körper zu verwischen. Der Wunsch, jung und strahlend auszusehen wie damals, steht hinter jedem Schönheitshandeln.

Trotzdem haftet Blond das Besondere an. Die Populärkultur und die Werbung haben die blonde Frau mit vielen Zuschreibungen versehen. Das macht ihre Macht aus. Marilyn Monroe und Kim Novak, Kim Basinger und Sharon Stone verkörperten in Filmen die Femme fatale, das blonde Gift, die Sexbombe. Gleichzeitig gelten blonde Frauen in den Augen mancher Männer als schutzbedürftig, wodurch die Männer an Selbstvertrauen gewinnen, etwa beim Dating, wie Studien zeigen.

Femme Fatale: Kim Basinger im Film «9½ Weeks», 1986.

Femme Fatale: Kim Basinger im Film «9½ Weeks», 1986.

Imago
Männerphantasie: Marilyn Monroe, 1952.

Männerphantasie: Marilyn Monroe, 1952. 

Getty

Die dümmliche Blondine

Es ist klar, dass man beim Wort «Blondine» eher an Gwyneth Paltrow oder Reese Witherspoon denkt als an Beyoncé und Jennifer Lopez, beide mit dunkler Haut, die ihre Haare ebenfalls blond färben. Soll man sich deswegen schuldig fühlen? Tressie McMillan Cottom, die mit diesem Beispiel ihre These belegen will, suggeriert das zumindest.

Doch nicht jede Vorliebe für Blond verrät bereits eine Weltanschauung. Blond gelte als attraktiv, weil es mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehe, schreibt die Biologin Jena Pincott in ihrem Buch «Do Gentlemen Really Prefer Blondes?» nüchtern: «Helle Farben fallen auf.»

Nicht jeder Mann bevorzugt deswegen Blondinen, und blonde Haare bringen einer Frau auch nicht nur Vorteile. Blond ist auch ein Klischee, das wenig Schmeichelhaftes hat. Oder gehabt hat: Wie einfach war das Leben als Blondine, als man noch für dumm, naiv und leicht zu erobern gegolten hat. Heute hingegen werden Frauen, die ihre Haare blond färben, Überlegenheitsgefühle und Machtansprüche unterstellt, da sie so ihr Weiss-Sein bestätigten. Man wünscht sich schon fast den Blondinenwitz zurück.